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„Eine Tür für Kommunikation öffnen“. Interview mit dem Arbeitskreis »Unterstützte Kommunikation«

Ein Interview mit Claudia Memm und Anita Matuszewski vom Arbeitskreis Unterstützte Kommunikation des QuerWege e.V.

Bei QuerWege gibt es seit drei Jahren den Arbeitskreis Unterstützte Kommunikation. Ein Team engagierter Pädagog*innen, unter anderem Daniela Egert (Kita Pi mal Daumen), Claudia Memm (Kita BiLLY) und Anita Matuszewski (Frühförderstelle), hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Möglichkeiten von UK in unseren Einrichtungen bekannter zu machen und Kindern Alternativen zur Lautsprache anzubieten.

An welche Menschen richtet sich Unterstütze Kommunikation ganz allgemein?

Claudia: Das sind vor allem Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen, wie hör- oder sehgeschädigte Menschen, taubblinde Menschen oder Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, Autismusspektrumsstörungen, Entwicklungsstörungen und körperlichen/​motorischen Einschränkungen. Dazu gehören z.B. auch Kinder mit Migrationshintergrund, die nicht die deutsche Sprache beherrschen, wie auch Kinder, die lange Zeit nicht oder kaum verstanden worden sind, z.B. Late Talker oder Kinder mit schwerer Sprachentwicklungsverzögerung. Aber auch bestimmte Gruppen von Erwachsenen können mit dazugehören, die aus unterschiedlichen Gründen lange Zeit nicht oder kaum verstanden worden sind, wie z.B. Demenzerkrankte.

Was umfasst die Unterstütze Kommunikation alles?

Anita: Die UK umfasst drei große Bereiche:

  • Das sind einmal die körpereigenen Kommunikationsformen, wie Mimik und Gestik, wie auch die Gebärden. Wir orientieren uns da sehr an der Deutschen Gebärdensprache (DGS). In der Arbeit mit unseren Kindern nehmen wir uns einzelne Gebärden heraus und arbeiten mit ihnen lautunterstützend. Das heißt wir bilden keine ganzen Sätze, sondern einzelne Wörter.

  • Der zweite Bereich sind grafische Symbole, dazu zählen Fotos, Bilder, Piktogramme. Da arbeiten wir viel mit Metacom – das ist eine Sammlung an grafischen Symbolen zu allen Themenbereichen des Lebens.

  • Und der dritte große Bereich sind die technischen Hilfen. Das geht los mit kleinen sprechenden Tastern, auf die ein »Ja« oder »Nein« oder Lieder drauf gesprochen werden. Das geht dann weiter bis zu sehr komplexen Sprachausgabegeräten. Das heißt die Kinder tippen eine Bilderfolge an und das wird versprachlicht. Die technischen Hilfen sind mittlerweile so ausgereift, dass es Programme zur Augensteuerung gibt, z.B. für Kinder die durch eine Spastik die Tablets nicht bedienen können. Der Wortschatz dieser Geräte ist mittlerweile so groß, dass Erwachsene damit studieren können!

Was wollt ihr durch euren Arbeitskreis erreichen?

Claudia: Die Ziele die wir uns als AK im Verein gesetzt haben, sind, dass wir uns fachlich weiterbilden, einrichtungsübergreifend arbeiten, Alltagsbarrieren in unseren Einrichtungen abbauen und auch Aufklärungsarbeit in den Teams leisten. Dafür haben wir in jeder QuerWege-Einrichtung Ansprechpartner*innen gefunden, die als Multiplikator*innen auftreten und an die sich die Kolleg*innen im Team wenden können.
Wir führen Fallberatungen durch, hospitieren in unseren Einrichtungen und beraten unsere Kolleg*innen bei der Erstellung individueller Pläne, wie UK bei dem jeweiligen Kind eingesetzt werden kann.

Damit das Thema noch greifbarer wird, habt ihr eine Geschichte, die ihr mit uns teilen wollt, wo sich die Erfolge von UK zeigen, wo ihr merkt, dass es sich lohnt für die Bekanntheit von UK einzusetzen?

Anita: Also ich arbeite in der Frühförderung und habe viel mit kleinen Kindern zu tun, die mittendrin in der Sprachentwicklung stecken. Als Beispiel fällt mir ein kleiner Junge ein, der nicht gesprochen hat und immer nur mit Quitschen, Jammern und Weinen kommuniziert hat. In der zweiten Förderstunde begann ich nebenbei auch Gebärden mit einzubauen. Unter anderem habe ich mit ihm »Komm« geübt, weil er in der Spielsituation immer zu mir gelaufen kam. Dieser kleine Junge hat sich schnell die Gebärde bei mir abgeguckt und am Ende der Stunde sagte er begleitend dazu »om«. Das fand ich total beeindruckend! Es war nur ein minimaler Aufwand mit dem Ergebnis, dass das Kind glücklich war, die Erzieher waren glücklich und ich habe gemerkt, man muss einfach eine Tür öffnen für die Kommunikation. Wenn Lautsprache nicht funktioniert, dann muss es über einen anderen Weg passieren.

Claudia: Ich arbeite im Kindergarten BiLLY und praktiziere mit meinen Kolleg*innen eine multimodale Kommunikation, das heißt wir sprechen mit allen Kindern auch über Bildsprache. Wir machen also UK für alle. Auch mit Gebärden, die regelmäßig erweitert und im Alltag etabliert werden. Wir haben nach einiger Zeit bei einem nonverbalen Kind aus der Ukraine gemerkt, dass es begonnen hatte, sich diese Gebärden anzueignen. Es konnte nach wenigen Monaten uns auf diesem Weg seine Bedürfnisse und Wünsche mitteilen! Und auch bei den ganz Kleinen, die noch nicht sprechen können, sind Gebärden oder die Kommunikation über Symbole sehr hilfreich.

Was bedeutet das für diese Kinder, wenn sie auf diese Art zum ersten Mal kommunizieren.

Anita: Dass sie das Gefühl haben: »Ich kann teilhaben«. Und ich glaube, das ist das Allerwichtigste: Teilhaben am Spielen, am Leben, am Alltag und auch ernst genommen werden in ihren Gefühlen, Bedürfnissen und Wünschen. Und wenn der Weg über Sprache aus verschiedenen Ursachen nicht möglich ist, kann man so diesen Kindern einen anderen Weg aufzeigen.

Kann der Weg über UK die Entwicklung der Lautsprache verzögern?

Claudia: Nein, im Gegenteil. Es gibt ganz viele wissenschaftliche Untersuchungen, die das Vorurteil widerlegen, dass Kinder, die über Gebärden oder elektronische Hilfsmittel kommunizieren, nicht in die Lautsprache kommen. Diese Angst hören wir immer wieder bei Eltern wie auch Pädagog*innen raus. Unsere Erfahrungen sind, dass wenn Kindern der Druck genommen wird, über Lautsprache kommunizieren zu müssen, dass es dann auf einmal wie von alleine geht. Auf einmal purzeln die Worte, auf die die Eltern zwei oder drei Jahre gewartet haben. Studien belegen ebenfalls, dass dadurch sogar ein Anstieg an Lautsprache möglich ist.

Was ist euch noch wichtig, zu sagen?

Anita: Ich finde, jeder kann unterstützt kommuniziert arbeiten. Man muss ein bisschen Mut haben, sich auf diese Formen der Kommunikation einzulassen. Aber es macht total Spaß – ich kann nur jeden ermutigen, mal mit Gebärden oder Bildern anzufangen und sich einfach trauen, andere Wege zu gehen. Die Erfolge sind relativ schnell sichtbar. Und das ist eine tolle Bestätigung für die Arbeit.

Das Interview führte Juliane Jahn.

veröffentlicht am 25. Juli 2023